Nahrungsmittelallergien häufig vermutet, oft Übersehen
Allergien und andere immunologische Reaktionen schlagen bekanntlich auch auf den Magen und zwar viel häufiger als die meisten Kollegen
vermuten. Wegen der unspezifischen Symptome wird beispielsweise die Glutenunverträglichkeit weit öfter übersehen als diagnostiziert. Wie man Nahrungsmittelallergien auf die Spur kommt, wie das
Allergen enttarnt wird und weiche Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen, wurde hier für Sie zusammengefasst.
Echte Nahrungsmittelallergien spielen die größte Rolle im Kindesalter. Bis zu 8% aller Säuglinge und Kleinkinder und etwa
2% aller älteren Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen leiden an einer immunologisch bedingten krankmachenden Reaktion auf Nahrungsmittel im Sinne einer echten Nahrungsmittelallergie. Die klinischen
Symptome umfassen ein breites Spektrum und reichen von Hautsymptomen wie Urtikaria und atopischem
Ekzem, entzündlichen Reaktionen an der Schleimhaut des Gastrointestinaltrakts, seltener aber auch des oberen und
unteren Respirationstrakts bis hin zum anaphylaktischen Schock mit zum Teil tödlichem Ausgang.
Die Häufigkeit von Allergien und auch allergischen Reaktionen des Gastrointestinaltrakts nimmt laufend zu. Warum das so ist,
ist nicht in allen Teilen geklärt, doch besteht vermutlich ein Zusammenhang mit den Lebensgewohnheiten unserer westlichen Zivilisation. Weitere auslösende oder unterstützende Faktoren für die
Entstehung einer Allergie sind die genetische Prädisposition, primär entzündliche Magen- Darm-Erkrankungen oder auch die Zusammensetzung der Darmflora. Selbst der Geburtsmodus, ob vaginal oder per
Sectio, spielt für die Zusammensetzung der Darmflora und das spätere Auftreten von Nahrungsmittelallergien eine Rolle. Mittlerweile werden immerhin ein Viertel aller Kinder in den westlichen
Industrieländern per Sectio geboren. In den ersten Lebenswochen ist die Darmbarrierefunktion bei den Säuglingen noch nicht vollständig ausgebildet und vulnerabler gegen Allergenexposition. Das
Alter, die Zusammensetzung der Ernährung, die Anwesenheit von Muttermilch oder nicht entscheidet somit über Toleranz oder Allergie.
Obwohl die menschliche Ernährung aus Hunderten von verschiedenen potenziell allergenen Nährstoffen besteht, ist
eine relativ kleine Anzahl von Nahrungsmitteln für den Großteil der gastrointestinalen Allergien verantwortlich. Bei Kindern sind das Milch, Ei, Weizen, Soja und Erdnuss, bei Erwachsenen vor allem
Fisch, Erdnuss, Weizen, Schalentiere und Baumnüsse.
Schwierige Diagnosestellung
Bei ausschließlicher gastrointestinaler Manifestation einer Nahrungsmittelallergie kann die Diagnose schwierig sein, da
die Symptome unspezifisch sind. Übelkeit, Völlegefühl, Erbrechen, Refluxbeschwerden, Bauchschmerzen, Meteorismus, Durchfall mit oder ohne Schleim‑ oder Blutbeimengungen, aber auch Dysphagie,
Nahrungsverweigerung mit Gewichtsabnahme, rezidivierende Aphthen, chronische Obstipation oder auch ein therapierefraktäres Perianalekzem sollten an eine Nahrungsmittelallergie denken lassen.
Während Nahrungsmittelallergien auf Fisch, Erdnuss, Weizen, Schalentiere und Baumnüsse in der Regel ein Leben
lang bestehen bleiben, können Allergien auf Milcheiweiß oder Eier durchaus nach dem 8.-10. Lebensjahr verschwinden.
Die Manifestation einer Enteropathie im ersten Trimenon nach Einführung kuhmilchhaltiger Nahrung ist
nahezu pathognomonisch für die Kuhmilchprotein‑Intoleranz. Nach Absetzen der Nahrung sistieren Durchfälle, Erbrechen und kolikartige Bauchschmerzen. Ein Rezidiv nach Wiedereinführung wird als
positiver Provokationstest gewertet. Dieser Kuhmilch-Provokationstest darf wegen der Schockgefahr aber nur unter klinischer Beobachtung durchgeführt werden.
Häufige Auslöser von Nahrungsmiitelallergien in %
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Nahrungsmittel
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Erwachsene
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Kinder
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Früchte
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35 (5 - 75)
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8
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Nüsse (incl Erdn)
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23 (9-32)
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5
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Gewürze
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18 (2-30)
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?
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Fische, Meeresfrüchte
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10 (5-15)
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5
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Getreidemehle
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7 (3-39)
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4
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Kuhmilch
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7 (0-16)
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70
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Hühnerei
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4 (o-7)
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40
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Diagnostische Strategien bei Nahrungsmittelallergie
Man könnte sich in nachdenklichen Augenblicken die Frage stellen, warum man bei
Nahrungsmittelallergien überhaupt Diagnose sichernde Tests durch führen soll. Die meisten Patienten haben die Diagnose für sich schon gestellt, sie sind zufrieden,
wenn das der Doktor bestätigt, sie machen eine Diät, worunter es ihnen meistens besser geht und sie können sicher sein, mit ihrer Geschichte im Bekanntenkreis ein
interessiertes Ohr zu finden. Warum also diesen diagnostischen Aufwand?
Bei etwa der Hälfte der Patienten mit Nahrungsmittelallergie ist die Anamnese
tatsächlich so typisch, dass sich eine weiterführende Diagnostik erübrigt. Die meisten dieser Patienten gehen damit aber auch gar nicht zum Arzt, da sie an sich
selbst allergische Symptome, z. B. nach dem Genuss von Erdnüssen, festgestellt haben und dieses Nahrungsmittel in Zukunft einfach weglassen.
Wenn der zeitliche Zusammenhang zwischen Aufnahme der potenziell allergenen
Nahrungsmittels und dem Auftreten der Symptomatik weniger klar ist, aber man dennoch eine IgE-vermittelte Allergie vermutet, so kann man einen Hauttest (Prick
-Test) durchführen, der in dieser Situation zwar besonders aussagekräftig ist, aber auch die Gefahr falsch positiver Resultate beinhaltet. Hauttests sind auch bei jungen
Kindern durchaus durchführbar. Beim Prick -Test ist weniger die Testdurchführung, wohl aber die Interpretation problematisch, zumal zwar für praktisch alle
Nahrungsmittel Tests angeboten werden, aber längst nicht für alle repräsentative Daten zu Sensitivität und Spezifität in der jeweiligen Population vorliegen. Er sollte
daher dem spezialisierten Allergologen vorbehalten blieben.
Die Bestimmung von spezifischen IgE-Antikörpern ist zwar gleich aussagekräftig,
kostet aber beträchtlich mehr. Besonders problematisch sind z. B. Kinder, die unter einer atopischen Dermatitis leiden und bei denen Hauttests oder spezifische 1gE
auf zehn und mehr Nahrungsmittel positiv sind. Um in dieser Situation vernünftige Ratschläge für die Diät geben zu können, sind Nahrungsmittel‑Provokationstests
erforderlich. Sie können einfach‑ oder doppelblind oder offen, müssen aber in jedem Fall unter ärztlicher Kontrolle und unter Anaphylaxie-Notfallbereitschaft
durchgeführt werden. Vor dem Test muss der Patient das jeweils zu prüfende Nahrungsmittel vier Wochen lang weglassen. Nachdem man jeweils nur ein
Nahrungsmittel prüfen kann, ist der zeitliche Aufwand also ziemlich groß.
Was hilft weiter, was nicht ?
Die Anamnese ist der wichtigste Einstieg. Hilfreiche Untersuchungen zur Abklärung
von Nahrungsmittelallergien sind Hauttests, nahrungsspezifische IgE-Antikörper, Präzipitine, Nahrungsmittel‑Belastungstests und endoskopische Provokationen.
Keinen Stellenwert in der Diagnostik von Nahrungsmittelallergien haben die intradermalen Reaktionen, die Bestimmung von nahrungsspezifischen IgG und IgA
(mit Ausnahme bei der Zöliakie) und der Lymphozytentransformationstest (LTT). Die objektiv vorhandenen Probleme der Diagnostik haben eine Vielzahl fragwürdiger
diagnostischer Praktiken aus dem Bereich der alternativen Medizin und der "klinischen Ökologie" gefördert, z. B. Bioresonanz oder Elektroakupunktur.
Trotz allen Aufwandes erscheint die diagnostische Abklärung lohnend, zumal die
Eliminationsdiät vor allem bei Kindern keinesfalls so einfach durchzuführen ist und sich durchaus einschneidend auf die Lebensqualität auswirkt. Nach einer vor
kurzem erschienenen Studie empfinden Eltern eine Erdnussallergie ihres Kindes als belastender als ein rheumatisches Fieber. Wahrscheinlich spielt hier die Angst der
Eltern die größte Rolle, ihr Kind könnte durch einen dummen Zufall ein Allergie auslösendes und potenziell tödliches Nahrungsmittel zu sich nehmen.
Therapie: Eliminationsdiäten durchaus nicht harmlos
Zur Behandlung der gesicherten Nahrungsmittelallergien bieten sich prinzipiell vier Möglichkeiten an:
- Allergenkarenz,
- Immuntherapie,
- Stabilisierung der Mukosabarriere,
- Medikamente.
Allergenkarenz
Wenn man denn Beweise oder zumindest starke Hinweise für ein allergenes
Nahrungsmittel gefunden hat, so ist die Elimination dieses Nahrungsmittels aus der Nahrung auf den ersten Blick der beste Weg, Allergien zu vermeiden. Leider aber
nur auf den ersten Blick, da gerade im Kindesalter diese Behandlungsform vor allem durch die Miteinbeziehung der Eltern durchaus nicht unproblematisch ist.
Eliminationsdiäten sind zumindest im Kindesalter so zu verordnen wie eine medikamentöse Therapie mit potenziell schwer wiegenden Nebenwirkungen.
Kinderärzte sehen immer wieder Kinder, denen durch übertriebene Sorge der Eltern schwere körperliche und psychosoziale Schäden durch sklavische Befolgung
eigenartiger Diäten zugefügt wurde, ohne dass eine Nahrungsmittelallergie je wirklich bewiesen wurde.
Schon um das zu verhindern und eine rationale Basis für die Therapieempfehlung zu
haben, ist eine exakte Diagnosestellung erforderlich. Nahrungsmittel-Provokationstests werden in der Praxis daher häufig unter einer "defensiven"
Indikation durchgeführt, d. h., um den Eltern zu beweisen, dass dieses oder jenes Nahrungsmittel tatsächlich harmlos und nicht (oder nicht mehr) Auslöser einer
Reaktion ist, da viele Nahrungsmittelallergien, gerade die häufige Kuhmilchallergie, sich mit zunehmendem Alter des Kindes "auswachsen".
Eine gute Eliminationstherapie überfordert auch den Pädiater oder Allgemeinarzt
und gelingt nur unter Einbeziehung von spezialisierten Ernährungsberatern und Ökotrophologen. Bei einer in Deutschland gesetzlich sehr unbefriedigend
geregelten Deklarationspflicht erfordert es viel Erfahrung und eine fortwährende Beschäftigung mit der Materie, um die Inhaltsstoffe gängiger Produkte zu kennen.
Bereits bei der Frage, was denn eigentlich glutenfrei sei, gibt es in Deutschland andere Standards als z. B. in den skandinavischen Ländern. Nach dem in
Deutschland gültigen Codex alimentarius sind drei Kategorien von glutenfrei geläufig:
- von Natur aus glutenfreie Nahrungsmittel wie Äpfel oder Mais, die Gluten allenfalls als Kontamination enthalten können;
- Nahrungsmittel, die im Prinzip glutenhaltig sind, bei denen das Gluten aber durch einen Herstellungsprozess entfernt wurde
- Mischungen der beiden ersten, die in Deutschland ebenfalls al „glutenfrei“ gelten.
In vielen anderen europäischen Ländern dürfen nur Nahrungsmittel mit einem
Glutengehalt von unter 20 ppm als glutenfrei deklariert werden, während Produkte unter 200 ppm als "glutenreduziert" firmieren. Es gibt eine Subgruppe von Kindern
mit Zöliakie, die erst bei unter 20 ppm beschwerdefrei wird.
Ein noch größeres Problem als die Grenzlegung ist die nicht klare
Deklarationspflicht in Deutschland. Wer hätte gedacht, dass z. B. Cornflakes oder sogar Camembert so viel Gluten enthalten kann, dass dadurch ein Krankheitsschub
verursacht werden kann. Im Alltag ist es tatsächlich sehr schwierig, eine wirksame glutenfreie Diät einzuhalten.
Immuntherapie
Da die komplette Allergenkarenz oft schwer zu erreichen ist und bei schweren
Formen die geringste Menge an Allergen fatale Folgen haben kann, hat man nach alternativen Wegen gesucht. Orale Desensibilisierungsversuche mit nativem
Allergen haben sich als zu gefährlich er wiesen, doch sind derzeit Versuche mit genmanipuliertem Allergen in Erprobung. Auch die Gabe von rekombinanten
Antidas Gluten aber durch einen Hersteller 1gE-Antikörpern weist einen neuen Weg, Es liegen hierzu bei den Nahrungsmittelallergien aber noch zu geringe Erfahrungen vor.
Stabilisierung der Mukosabarriere
In mehreren kontrollierten Studien bei Kindern und Erwachsenen haben sich
probiotische Bakterien zur Behandlung entzündlicher Darmerkrankungen und infektiöser Diarrhöen bewährt. Sie verbessern die Schutzfunktion der
Mukosabarriere und vermindern den Durchtritt von Proteinen und Peptiden durch die Darmschleimhaut. Es lag daher nahe, dieses Therapieprinzip auch bei
Nahrungsmittelallergien einzusetzen. Erste klinische Studien bei Kindern mit Kuhmilcheiweißallergie und atopischem Ekzem mit dem probiotischen Lactobacillus
GG zeigten positive Effekte auf die entzündlichen Veränderungen an Mukosa und Haut.
Medikamente
Mit Ausnahme der Kortikosteroide, bei denen sich ein Langzeittherapie ohnehin
verbietet, verliefen Behandlungsversuche mit den üblichen, gegen allergische Erkrankungen eingesetzten Medikamenten wie Antihistaminika, Ketotifen,
Cromoglicinsäure oder Leukotrienantagonisten bei Nahrungsmittelallergien enttäuschend.
Prophylaxe gefragt
Die therapeutischen Ansatzpunkte sind auch heute noch begrenzt und durchaus
problematisch. Umso größere Bedeutung kommt der Prävention zu. Es ist bekannt, dass Nahrungsmittelallergien prädiktiv für weitere Allergien sind. Sie stehen oft am
Beginn einer allergischen Kaskade von der Kuhmilchallergie über die Neurodermitis bis zu hin zur allergischen Rhinitis und zum Asthma bronchiale. Die wichtigste
Maßnahme ist sicher, dass die Kinder über mindestens vier Monate ausschließlich durch Stillen ernährt werden. Ist der Vater oder die Mutter Allergiker, so wird
empfohlen, auf einschlägige allergene Nahrungsmittel wie Ei oder Fisch im ersten Lebensjahr, auf Soja oder Nüsse sogar in den ersten drei Lebensjahren zu verzichten.
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